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Die Bijagos

Ein Volk mit matriarchalen Mustern

Fanado – Geheimzeremonie im heiligen Wald

Yugu auf der Insel Canhabaque zeigt uns die Narben ihrer Initiation. Die junge Frau hat den Fanado hinter sich gebracht und ist so in den Kreis der Älteren aufgestiegen. Längere Zeit war sie mit anderen Frauen im heiligen Wald und hat sich dort ganz den traditionellen Zeremonien und Ritualen hingegeben. Woraus diese genau bestehen, darüber herrscht Fremden gegenüber Stillschweigen. Auch was die Symbole bedeuten, die dabei in die Körper geschnitten werden und diese fortan zieren, bleibt Geheimnis der Bijagos, abhängig sind sie von der Tradition der jeweiligen Insel. Die Frauen bleiben so lange im Wald, bis ihre Wunden verheilt sind. Nach ihrer Rückkehr vergehen oft Wochen und Monate, bevor sie wieder mit Männern sprechen oder Kontakt haben dürfen.

„Die Hütten werden von Frau und Mann gemeinsam gebaut. Im Falle einer Trennung bleiben sie aber im Besitz der Frauen. Früher konnten nur die Frauen die Beziehung beenden. Als Zeichen dafür stellten sie einfach die Sachen des Mannes vor die Hütte.“

Bijagos, Guinea-Bissau, Westafrika

Vor der Küste Guinea-Bissaus eröffnet sich zum Atlantik hin eine Insellandschaft, die in ihrer Vielfalt beeindruckt – sowohl im Wasser als auch zu Land. 88 Inseln zählt der Archipel, 20 davon sind das ganze Jahr über bewohnt. Hier leben die Bijagos, rund 33.000 Menschen, umgeben von Magrovenwäldern, Reisfeldern und Meer. Ihre Lebensweise basiert in vielen Bereichen auf matriarchalen Strukturen, ihrem Umfeld begegnen sie mit Respekt: Geister sind in ihrem animistischen Glauben präsent, in jedem Stein, in jedem Grashalm, in jedem Tier.

Das ökonomische und soziale Leben der Bijagos ruht auf den Schultern der Frauen – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Auf den Straßen sind meist sie es, die etwas tragen: Wasserkanister oder in Stoff gewickelte Bündel auf dem Kopf, Taschen oder die Ernte des Feldes. Sie organisieren den Haushalt, die Familie, die Arbeit, aber auch Zeremonien und Riten. In der Gemeinschaft hoch angesehen walten die ältesten Frauen – neben dem König und der Königin – als Weisenrat über das Geschick der Dörfer. Denn Entscheidungen, die das Kollektiv betreffen, kann das Königspaar nur mit Zustimmung dieses Weisenrats treffen.

Früher lag auch die Wahl des Mannes in der Hand der Frauen: Als Antrag stellte sie eine Schale Reis vor die Hütte seiner Familie und wenn sie am nächsten Tag aufgegessen war, galt das als Zustimmung. Mittlerweile ist diese Tradition abgeschwächt, die Partnerwahl wird nicht mehr einseitig getroffen. Wenn sich ein Paar gefunden hat, baut es gemeinsam eine eigene Hütte, die aber im Falle einer Trennung im Besitz der Frau verbleibt.

Natur und Animismus bestimmen das Leben der Bijagos – sie feiern Erntefeste oder erbitten den Segen der Geister, wenn es gilt, eine Hütte zu bauen. Ein besonderer Schritt für Frauen wie für Männer ist der Fanado, ein Ritual, das sie zu unterschiedlichen Zeiten und getrennt im heiligen Wald durchleben. Erfahrene Ältere begleiten sie durch diverse Zeremonien und Beschwörungen; so erlernen sie die Traditionen und Weisheiten und kehren erst nach Monaten wieder zurück. Mit Narben versehen, als Zeichen des Bestehens, nehmen sie nun in der Gesellschaft einen neuen Stellenwert ein.

Der Boden und die Natur sind den Bijagos heilig. Was sie zum Leben benötigen, bauen sie selbst an, unter Achtung des Landes und seiner Lebewesen. Unter den Palmen, von denen sie nicht bloß Öl gewinnen, sondern auch Wein herstellen, wächst auf manchen Inseln während der Regenzeit Reis. Ansonsten leben die Bijagos von dem, was das Meer und das Land ihnen bietet: die Frauen graben Muscheln aus dem Sand und die Männer gehen auf Fischfang oder auf die Jagd.

Die Inseln und Zeremonien bestimmen das Leben der Bijagos, das von Naturverbundenheit, Schamanismus und Mystik geprägt ist. Wenn Bijagos die Reise in das Reich der Ahnen antreten, dann werden sie einen Tag später in der Hütte ihrer Familie sitzend begraben. Und wieder kommt den Frauen eine bedeutende Rolle zu – nur sie sind es, die den Seelen der Verstorbenen in den Himmel verhelfen können.

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