Was vom Leben übrig bleibt
Wir Menschen halten uns an Dingen fest, damit unsere Erinnerungen nicht verblassen. An Versatzstücken, die Ausschnitte eines Weges zeigen und an Objekten, deren Wert jener Kontext definiert, aus dem wir sie entlehnen. Die Schuhe sind ein Andenken an meine Mutter und an meine Großmutter und gleichzeitig sind sie ein lebloses Symbol für den Verlust dieser beiden, mir so wichtigen Frauen.
„Ich wollte in diese Schuhe schlüpfen, wollte sie tragen, hinausgehen in die Natur, mich von ihnen zu einer Inszenierung inspirieren zu lassen.“
Nach dem Tod meiner Großmutter bin ich in ihr Haus gegangen – ein Ort, an dem ich als Kind sehr oft meine Zeit verbrachte. Es war ein eigenartiges Gefühl, die leeren Räume mit ihren knarrenden Holzböden zu durchschreiten, in denen diese geschäftstüchtige Frau so deutlich fehlte. Ich sah mich um, öffnete Kästen und Kommoden – offenbar suchte ich nach etwas, von dem ich selbst noch nicht genau wußte, was es sein könnte. In einem Schrank fand ich eine Vielzahl an Schuhen. Ich war überrascht über die Menge und ich wußte sofort, dass ich sie fotografisch umsetzen wollte. Dass sie mir dabei helfen würden, über das Leben meiner Großmutter zu reflektieren und mir ihre Persönlichkeit in Erinnerung zu rufen.
Ein paar Jahre standen diese Schuhe in meinem Atelier – ich fotografierte, gruppierte und portraitierte sie, als hätten sie eine eigene Persönlichkeit. Jahre später hatte ich das Bedürfnis, sie zu tragen – in die Schuhe meiner Großmutter zu schlüpfen, sie auszuführen und in der Natur zu inszenieren.
Sechzehn Jahre später, 2014
ist meine Mutter gestorben – eine besondere Frau mit großem Herzen und starkem Willen. Sie fehlte mir ungemein – als Person und als Inspiration für mein eigenes Leben. Ich erinnerte mich an die Serie mit den Schuhen meiner Großmutter, wieder wollte ich eintauchen in jenes Haus, aus dem die Lebendigkeit verschwunden war und das nur mehr aus Dingen bestand. Neben Schuhen nahm ich diesmal auch Kleider mit – nicht mit der Absicht, sie zu tragen, sondern sie um mich haben zu können. Doch wieder waren es die Schuhe, die mich am meisten anzogen. In vielem erkannte ich den Stil meiner Mutter wieder, doch gerade diese roten Lackschuhe mit ihren hohen Absätzen und der auffälligen Masche, die für mich so gar nicht meine Mutter repräsentierten faszinierten mich am meisten. Es war, als wollten sie etwas über meine Mutter erzählen, das mir fremd war.
Ich zog sie an und ging nach draussen, ich bohrte die hohen Absätze in den weichen Boden, ich wollte meine Füße und diese Schuhe eingraben in die Erde – „Mutter Erde“ und das Leben, das aus ihr entspringt und dazu jene Schuhe inszenieren, die so gar nicht in dieses Umfeld passen.