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Die Burrneshas

Die Mann-Frauen Albaniens

Keuschheitsgelübde für die Freiheit

Im Norden Albaniens leben viele Frauen in ländlichen Gebieten heute noch ohne gelebtes Wahlrecht, ausgeschlossen von freier Berufswahl und ihren Männern untertan. Es ist der Kanun der vorschreibt, was Frauen dürfen und was nicht – ein niedergeschriebener Lebens- und Verhaltenscodex archaischer Gesetze. Um dem Menschen unwürdigen Rollenstereotyp zu entkommen bleibt Frauen als einziger Ausweg, ihre Geschlechtsidentität zu wechseln und als sogenannte Burrneshas zu leben. Weniger als 100, meist schon ältere Burrneshas soll es aktuell in Albanien noch geben, in sehr konservativen Umfeldern entscheiden sich auch heute noch junge Frauen für das Leben als Burrnesha.

 

„Niemand traute sich, eine Hochzeit für mich zu arrangieren. Mein Vater hat meiner Mutter befohlen, mich so sein zu lassen wie ich sein wollte – ein Junge.“

Hajdar

Schon im 19. Jahrhundert haben Reisende von den Burrneshas berichtet denen sie im Norden Albaniens begegneten. Frauen, die ihre weibliche Identität niederlegen, um wie Männer zu leben. Mit dem historisch tradierten Rollentausch stehen ihnen die Rechte der Männer zu und innerhalb der strikt patriarchalen Gesellschaft wird den „Mannfrauen“ eine respektvolle Sonderstellung zuteil. Dieser Schritt in die Freiheit hat seinen Preis – Burrneshas leben zölibatär, ohne Heirat und Kinder. Wer nicht heiraten möchte – weil etwa häusliche Gewalt gegenüber Frauen als Recht des Ehemannes geduldet wird – hat keine andere Wahl, denn als Frau unverheiratet zu bleiben gilt in den archaiischen Clanstrukturen als Entehrung der Familie. Mancherorts spielen auch äussere Umstände mit – wenn der Vater oder ein männlicher Nachfolger fehlen, kann nur eine Burrnesha die Position des Famlienoberhaupts einnehmen. Einzigartig in ganz Europa wird den Burrneshas offiziell ein hoher, sozialer Status zugeschriebenFrauen.

Von Podgorica in Montenegro machen wir uns auf den Weg, jene Frauen zu besuchen, die als Burrneshas leben und von sich selbst in der männlichen Form sprechen. Die Kontakte hat unser Guide hergestellt – Durrës, Lepushe, Shkodra, Tropoje und Gasturani sind die Orte, die wir ansteueren. Die Härte, mit der das Leben sie getroffen hat, ist all ihren Worten und Gesten ablesbar. Sie alle haben schon früh gespürt, dass sie nicht in die für sie vorgesehene Rolle schlüpfen möchten die viele Verbote und wenig Rechte für die Frauen bereit hält. Wählen gehen, seine Meinung äußern, einen beliebigen Beruf ausüben, rauchen oder ein selbstbe­stimmtes Leben führen ist für den weiblichen Teil der Gesellschaft nicht vorgesehen. Als Burrnesha ist es möglich, sich über diese Restriktionen hinwegzusetzen. Burrneshas kleiden sich nicht nur wie Männer, sie geben sich auch betont hart und maskulin, um ihre Entscheidung zu unterstreichen.

Auf unserem Weg quer durch die Landschaft fallen mir jede Menge sonderbarer Bauwerke auf, deren Funktion mir nicht sofort klar ist. Die unzähligen Betonkuppeln, die in Gärten, auf Wiesen und an jeder Ecke aus der Erde ragen, sind ein unübersehbares Relikt des albani­schen Diktators Enver Hoxha und seines Größenwahns – 750.000 Bunker hat er ins Land gesäht, um den Staat für eine mögliche Invasion zu wappnen.

Djana, Jahrgang 1954

In der Hafenstadt Durrës unweit von Tirana treffen wir Djana – sie hat die Strenge eines Militärs verinnerlicht. Schon ihr Vater war „im Dienst“ und in einer bevorzugten Stellung – in diese Fußstapfen wollte sie treten und hat ihre Ausbildung an der Militär­akademie durchlaufen als wäre sie ein Mann. „Im Kommunismus musste man sich für alles anstellen – Frauen und Männer getrennt. Wenn ich mich bei den Frauen einreihte wurden diese oft böse, weil ich schon damals wie ein Mann aussah.“ Dass sie lieber mit den Jungs Fußball spielen, kurze Haare und Hosen tragen und vor allem frei sein wollte, war für sie selbst normal, denn sie fühlte sich von klein auf als Bub. Ihre Eltern und vor allem die Mutter hatten größere Probleme damit. Seit sie als Burrnesha lebt, genießt Djana großen Respekt – vor allem die Konsequenz, mit der sie ihre Entscheidung verfolgt, wird als ausgesprochen „männlich“ gelobt. Auch, dass es Burrneshas erlaubt ist, Waffen zu tragen wertet Djana als besondere Anerkennung.

Gjystine, Jahrgang 1965

Ganz im Norden an der Grenze zu Montenegro ist Gjystine zu Hause. Sie lebt mit ihrer betagten Mutter abgeschieden auf einem Bergbauernhof in Lëpushë. „Wir waren sehr arm, haben uns hauptsächlich von Kartoffeln und Zwiebeln ernährt. Denke ich an meine Kindheit, dann ist es der quälende  Hunger, der mir einfällt.“ Sie wollte am Bau und mit großen Maschinen arbeiten doch aus ihrem Dorf ist Gjystine ihr ganzes Leben noch nicht heraus­gekommen. Weil der Vater schwer erkrankte, übernahm sie neben seiner Arbeit auch die Rolle als Familienoberhaupt, half der Mutter im Haushalt  und die jüngeren Geschwister aufzuziehen. Hier werden Mädchen schon im Kleinkindalter zur Heirat ver­sprochen und auch sonst herrschen archaiische Gesetze – bisweilen gilt es, Hab und Gut wie die Familie mit Waffengewalt zu verteidigen – auch wenn Blutfehden offziell verboten sind, werden diese Racheakte vor allem in ländlichen Regionen nach wie vor verübt. Gjystine wollte nie heiraten – was für den liberalen Vater kein Problem war, ließ für die konservativere Mutter eine Welt zusammenbrechen. Immer wieder gab es Anträge und Heiratsangebote, doch sie versteckte sich und lehnte alle Bewerber ab. „Ich möchte frei sein und ein ruhiges Leben mit mir selbst haben“ – dafür legte sich Gjystine ein „dickes Fell“ zu und wurde Burrnesha.

Lindita, Jahrgang 1960

Am großen Skutarisee in Shkodra sind wir mit Lindita verabredet – in ihren frühen Jahren hat sie mehr gelitten als gelebt sagt sie. Der Vater starb als sie fünf war und schon vor der Pubertät wußte sie, dass sie kein Mädchen sein wollte – heimlich schlüpfte sie am Schulweg tagtäglich in dieselbe Bubenhose. Aus Rücksicht auf die Tochter heiratete die Mutter nie mehr, gemeinsam verdienten sie unter großer Anstrengung ihren Lebensunterhalt. Lindita arbeitete in einer Fabrik, doch die harte Arbeit wurde nur schlecht entlohnt. Als sie Mitte zwanzig bei einer Gehalts­verhandlung aus Wut das Bild Enver Hoxhas auf den Boden wirft, kommt sie augen­blicklich ins Gefängnis und wird zu zwölf Jahren verurteilt. Als Mann hätte ihr die Todesstrafte gedroht. Auch wenn Lindita die Tat nicht bereut und stolz über ihre Courage ist, ist sie den Tränen nahe und gezeichnet fürs Leben. Offen spricht sie über den brutalen Alltag im Gefängnis – wie es sich mit 17 Insassen in einer Zelle lebt über Macht, Gewalt und Sexualität. Auch lesbisch zu sein ist keine Option, denn Burrneshas entsagen aus Prinzip dem Körperlichen. Homosexualität ist in Albanien seit 1995 offiziell erlaubt, sozial aber weiterhin geächtet. „Ich bin ein Mann“ sagt sie voll Überzeugung und verwendet dafür das Wort „Burr“, von dem die Bezeichnung Burrnesha (kleiner Mann) abgeleitet wird.

Sechseinhalb Jahre war Lindita im Gefängnis. In dieser Zeit entdeckte sie eine neue Stimme in sich und schreib sieben Gedichtbände, die sie nach der Entlassung veröffentlichen und zehn Jahre von ihrem Ertrag leben konnte.

Bedri, Jahrgang 1956

Bedri lebt in Gasturani, doch eigentlich ist der knallgelbe Van das Zuhause der Taxifahrerin.Früher arbeitete sie als Briefträger, doch 2004 wurden sehr viele Menschen im öffentlichen Dienst gekündigt. Harte Zeiten hat die Burrnesha, deren Weiblichkeit kaum sichtbar ist, viele erlebt. Als der Kommunismus 1997 zu Ende ging und das Land „brannte“ in bürgerkrieg­ähnliche Anarchie verfiel. Es herrschte absolute Gesetzlosigkeit, in der bewaffnete Banden grundlos jeden überfielen, der ihnen über den Weg gelaufen kam. Die Menschen verschanzten sich aus Angst vor den bewaffneten Banditen und ihren Raubzügen in den Häusern. 100.000 Kalaschnikows, 80 Panzer und 30 Kampfflugzeuge heißt es, waren im Besitz der Rebellen. Dem Land war seine Moral abhanden gekommen. Mit der Verwilderung der Gesellschaft und im psychotischen Klima gediehen Schmuggel und Wucher und niemand konnte diesem terroristischen Treiben etwas entgegen setzen, denn der Staat hatte sich in ein Vakuum aufgelöst und die Polizei war nicht mehr existent. Auch der Westen hielt sich aus diesem chaotischen Ausnahmenzustand lieber heraus.Als Burrnesha zu leben, Auto zu fahren und als selbständige Taxifahrerin arbeiten zu können, bedeutet für Bedri Freiheit und eine Unanbhängigkeit, die sie als Frau in diesem Land nie erreichen hätte können.

Hajdar, Jahrgang 1931

Es dauert, bis wir Hajdar finden, die mit ihren Schwestern auf einem kleinen Bauernhof in Tropojë lebt. Stolz und breitbeinig sitzt sie in der weissen Männertracht vor uns – mit ihren über 80 Jahren hat sie viel erlebt und gesehen, auch wenn sie kaum ihr Dorf verlassen hat. Von all unseren Gesprächspartnerinnen pflegt sie die alten patriarchalen Sitten am stärksten. In ihrem Haus gibt es heute noch das Herrenzimmer, in dem sich die Männer treffen und Frauen keinen Zutritt haben, um den Raum nicht zu entweihen. Auch das Essen dürfen sie nur bis zur die Schwelle tragen – ein Abbild der tradierten wie antiquierten Geschlechter­verhältnisse. Hajda hatte ihren Eltern schon als junges Mädchen gedroht, wegzugehen wenn sie ihr nicht erlauben würde, ihr Leben als Mann zu führen.

Behind the schenes

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